Im Jahr 1987 wurde mit dem Bericht „Our Common Future“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, die unter dem Vorsitz der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Brundtland stand, ein zentraler Text für das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung veröffentlicht. In diesem Dokument ist die Widersprüchlichkeit, welche die gesamte nachfolgende Diskussion kennzeichnet, bereits enthalten. Diese Widersprüchlichkeit ergibt sich vor allem aus einer zutreffenden Identifizierung des Zusammenhanges der Umwelt- und Entwicklungsproblematik einerseits und einer unzureichenden Analyse der dem zugrundeliegenden Ursachen andererseits, woraus die unzutreffenden und daher unwirksamen Handlungsempfehlungen des Berichts resultieren. An der Richtigkeit der grundlegenden Zielvorstellungen, die in dem Bericht entwickelt werden, ändern die falschen Umsetzungsvorschläge jedoch nichts. Diese Tatsache wird von Kritikern des Konzepts Nachhaltiger Entwicklung leider immer wieder übersehen.
Die Zielvorstellung des Berichtes, welche zugleich die zentrale Bestimmung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung darstellt, lautet: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff 1987:47). Damit werden zwei wesentliche Ziele des Konzepts bestimmt: intragenerative und intergenerative Gerechtigkeit in Bezug auf Umwelt und Entwicklung. Diese Zielvorstellung ist es, die dazu führt, dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung zur Einschätzung gelangt: „Die (…) politische Zielbestimmung ´sustainable development` enthält eine Programmatik für die Bewältigung der gemeinsamen Zukunft der Menschheit, die – wenn sie ernst genommen wird – revolutionär sein kann“ (SRU 1994:Tz.1).
Es verwundert daher wenig, dass diese grundsätzlichen Zielvorstellungen sich auch bei Marx finden. In Bezug auf den Menschen ist dies so klar, dass eine Erwähnung kaum sinnvoll erscheint, in Bezug auf die Umwelt wird dagegen kaum Kenntnis davon genommen, was einigermaßen verwundert, angesichts des immer weiter zunehmenden Ausmaßes der menschlich verursachten Umweltveränderungen und dem Zusammenhang dessen mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Darüber hinaus beschränken die teilweise irreversiblen Umweltveränderungen die Möglichkeiten zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt, d.h. auch die einer möglichen Assoziation freier Individuen, was Marx klar festgestellt hat: „…jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (Marx 1969:530). Daher ist eine konsequente Folgerung aus der Erkenntnis dieses Zusammenhanges durch Marx seine Forderung: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ (Marx 1968: 784). Marx ist somit als ein Urheber des Gedankens einer Nachhaltigen Entwicklung zu betrachten.
Weit expliziter als bei Marx wird das Verhältnis von Gesellschaft und Natur in der Kritischen Theorie behandelt. Insbesondere Horkheimer (1992:94) hebt dieses Verhältnis in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft als ein herrschaftsförmiges und in komplexer Weise miteinander verbundenes hervor: „Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein. Jedes Subjekt hat nicht nur an der Unterjochung der äußeren Natur, der menschlichen und der nichtmenschlichen, teilzunehmen, sondern muß, um das zu leisten, die Natur in sich selbst unterjochen.“ Verbunden mit dem Herrschaftsprinzip ist der Begriff des Ichs, wodurch ein Dualismus von Ich und Natur entsteht. So wird „Natur heute mehr denn je als ein bloßes Werkzeug des Menschen aufgefasst. Sie ist Objekt totaler Ausbeutung, die kein von der Vernunft gesetztes Ziel und daher keine Schranke kennt. … Freilich geht die Gier des Menschen, seine Macht in zwei Unendlichkeiten hinein auszudehnen, den Mikrokosmos und das Universum, nicht unmittelbar aus seiner eigenen Natur hervor, sondern aus der Struktur der Gesellschaft.“ (Horkheimer ebd.:107). Die sozialen Benachteiligungen sowie die massiven Umweltschädigungen resultieren demnach aus spezifischen Konstellationen gesellschaftlicher und psychischer Strukturen. Aus dieser Erkenntnis heraus betrachtet Horkheimer (ebd.:123) als Ausweg den Einsatz reflexiven Denkens: „Der einzige Weg, der Natur beizustehen, liegt darin, ihr scheinbares Gegenteil zu entfesseln, das unabhängige Denken.“ Dadurch erst besteht die Möglichkeit der scheinbar naturgegebenen Naturbeherrschung zu entgehen: „Die Unterjochung der Natur wird in Unterjochung des Menschen zurückschlagen und umgekehrt, solange der Mensch seine eigene Vernunft und den grundlegenden Prozeß nicht versteht, durch den er den Antagonismus geschaffen hat und aufrecht erhält, der sich anschickt, ihn zu vernichten. Vernunft kann nur dadurch mehr sein als Natur, daß sie sich ihre »Natürlichkeit« – die in ihrer Tendenz zur Herrschaft besteht – konkret bewusst macht, die nämliche Tendenz, die sie paradoxerweise der Natur entfremdet. Damit wird sie, indem sie ein Instrument der Versöhnung ist, zugleich mehr sein als ein Instrument.“ (Horkheimer ebd.:165) Die Zielvorstellung dabei ist nach Horkheimer (ebd.:122) folgende: „Ohne den Fehler zu begehen, Natur und Vernunft gleichzusetzen, muss die Menschheit versuchen, beide zu versöhnen.“ Die Kritische Theorie zielt mit der Vollendung der Aufklärung und der wahrhaft vernünftigen Einrichtung der Welt durch die mündig gewordenen Individuen weit über die Zielvorstellungen des Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung hinaus. Jedoch stellt sich damit auch die Frage ob das letztere überhaupt ohne das erstere zu haben ist.
Gegenwärtig jedenfalls wird die Welt, trotz aller, wie auch immer gearteten, Bemühungen in den letzten 20 Jahren, immer nichtnachhaltiger. Dies bleibt ein reales Problem, woran alle angebrachte Kritik am Umgang mit dieser Problematik nichts ändert. So stellt Spehr (1996) das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung als Reaktion des Kapitalismus auf ökologische Krisenerscheinungen dar, als ein Programm für einen effektiveren Kapitalismus und bezeichnet es aus emanzipatorischer Perspektive als „Ökofalle“. Auf ähnliche Weise analysieren Eblinghaus und Stickler (1996) Nachhaltige Entwicklung. Sie begreifen dieses Konzept im Zusammenhang des Diskurses über Umwelt und Entwicklung als Strategie modernisierter Herrschaftssicherung und Baustein für ein neues hegemoniales Projekt, welcher in besonderer Weise geeignet ist kritische Potentiale in herrschende gesellschaftliche Strukturen einzubinden. Inzwischen ist erkennbar, dass, zumindest bisher, das Programm der ökologischen Modernisierung des Kapitalismus fehlgeschlagen ist bzw. so unzureichend war, dass ökologische Verbesserungen ausgeblieben sind und sich im Gegenteil die Umweltsituation weiter verschlechtert hat. Gegenwärtig ist der Klimaschutz zum spektakulären Großereignis geworden und hat medial die Diskussion um Nachhaltige Entwicklung praktisch abgelöst. Andererseits stellt Blühdorn (2007) fest, dass es der Politik in erster Linie darauf ankommt die Funktionsfähigkeit des bestehenden Produktions- und Konsummodells zu erhalten und ökologische Fragen letztlich so gut wie irrelevant sind. Er spricht im Zusammenhang damit auch von einem postökologischen Zeitalter, in dem es vor allem um die Erhaltung des Nichtnachhaltigen geht. Nichtsdestotrotz bleiben die grundlegenden Probleme des Systems des demokratischen Konsumkapitalismus weiterhin ungelöst und bestehen als mehr oder weniger offensichtlicher Widerspruch fort. Die ökologische Nichtnachhaltigkeit ist dabei aber nur eine von drei fundamentalen Problematiken, zu denen außerdem soziale Nichtnachhaltigkeit und normative oder kulturelle Nichtnachhaltigkeit gehören (Blühdorn ebd.). Daraus ergibt sich ein Dilemma, in der sich die gegenwärtige Gesellschaft befindet: Um den Gefahren des ökologischen, sozialen und normativen Zusammenbruchs zu begegnen ist eine radikale Veränderung der Gesellschaft notwendig, jedoch gibt es weder eine konkrete Vorstellung einer realisierbaren Alternative, noch besteht der politische Wille oder die Fähigkeit vom Bestehenden abzuweichen. Es besteht also das Problem, dass die dreifache Krise der Nichtnachhaltigkeit derzeit weder zu lösen ist, noch ungelöst bleiben kann. Nach Blühdorn (ebd.) ist für die Gesellschaft und insbesondere für die Politik damit eine kategorial von bisherigen Fragestellungen verschiedenes Problem aufgetaucht: Wie kann mit den unlösbaren Problemen der ökologischen, sozialen und normativen Nichtnachhaltigkeit umgegangen werden und dabei das Nichtnachhaltige aufrechterhalten werden? Als gesellschaftliche Antwort auf dieses Problem sieht er eine Strategie der Simulation an, die sich durch simulative Politik und eine Performanz der Ernsthaftigkeit bzw. der Authentizität äußert, d.h. eine performative Reproduktion authentischer Politik, wobei keine tatsächlich authentische Politik hergestellt wird, sonder nur eine Vorstellung davon erzeugt wird.
So bleiben die zentralen Forderungen des Brundtland-Berichts, welche grundlegende Problematiken des kapitalistischen Gesellschaftssystems auf globaler Ebene darstellen, unerfüllt und eine tatsächliche Einlösung, die tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen erfordern würde, scheint nicht in Sicht. Worauf es ankommen würde um die Simulation oder das Spektakel zu durchbrechen und wirkliche Veränderungen zu erreichen ist aus der Betrachtung der hier dargestellten und weiterer Ansätze zu entnehmen. Die Veränderungen müssen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig vollzogen werden: auf der Ebene der Ökonomie, auf der Ebene der Politik und auf kultureller oder normativer Ebene. Dafür wiederum wären Transformationen im Bewusstsein sowie in der Praxis der gesellschaftlichen Individuen in einen Ausmaß notwendig, welches sich in Transformationen gesellschaftlicher Strukturen äußert. Bis dahin stellen die grundlegenden Ziele des Konzeptes Nachhaltiger Entwicklung ebenso eine Utopie dar, wie die Vorstellung von Marx von einer kommunistischen Gesellschaft, welche den Stoffwechsel mit der Natur rationell regelt und so die natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz bewahrt, und Horkheimers Ziel einer Versöhnung von Vernunft und Natur.